„Wir haben nicht die Expertise.“

Selbstabschaffung der Kommunalpolitik am Beispiel „Brandschutzbedarfsplan“

In der Theorie ist es ja so einfach: Da gibt es für (fast) alles Empfehlungen, Handbücher und – für kommunale „Entscheidungsträger“ (!) wenigstens „Handreichungen“.

So auch beim Thema „Brandschutz“, genauer gesagt bei der „Brandschutzbedarfsplanung“.

Das Landesministerium für Inneres und Kommunales, der Städtetag NRW, der Landkreistag NRW und der Städte- und Gemeindebund haben dazu auf sechzehn Seiten zusammengefasst, was Kommunalpolitiker/innen, die ja im Ehrenamt tätig sind, zum Brandschutz wissen sollten.

Dazu gehört der einleitende Hinweis, dass die Feuerwehr der „Kontrolle durch den Rat (unterliegt)“ und dass es Aufgabe des Rates sei „Festlegungen und richtungsweisende Entscheidungen zu treffen.“

Es sei „im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung (…) festzulegen, welche Anforderungen die Feuerwehr erfüllen muss, damit sie leistungsfähig im Sinne des Gesetzes ist. Diese Festlegung erfolgt durch den (…) aufzustellenden und fortzuschreibenden Brandschutzbedarfsplan.“

Die Bedarfsplanung der Feuerwehr ist gesetzlich vorgeschrieben, der Ablauf jedoch nicht. Zuständig für die Erstellung des Plans ist die Gemeinde, dessen Rat den Plan verabschieden und verantworten muss.

Schritt eins – sofern der „Handreichung“ an kommunale „Entscheidungsträger“ gefolgt wird – ist es, „Schutzziele“ festzulegen, d.h. zu entscheiden, welches Leistungsniveau die Feuerwehr zukünftig erreichen soll.“

Grundlage der Brandschutzbedarfsplanung bildet eine „Analyse des Gefahrenpotentials“. Ausdrücklich rät die „Handreichung“ dazu, nicht nur die aktuelle Situation zu betrachten, sondern auch „die absehbare weitere Entwicklung des Gemeindegebiets zu berücksichtigen (z. B. Leitbilder zur Stadtentwicklung, Flächennutzungsplan, Bebauungsplan).“

Daran soll sich eine Betrachtung des Leistungsvermögens der Feuerwehr anschließen: personelle und technisch-räumliche Rahmenbedingungen, Qualifikation, Alter sowie bei freiwilligen Kräften die Verfügbarkeit.

Die Kommunalpolitik ist dann gefordert, das Sicherheitsniveau zu der Stadt zu bestimmen: Was soll die Feuerwehr leisten und innerhalb welcher Zeitfrist? Welche Risiken sollen von der Feuerwehr in welcher Qualität abgedeckt werden? Soll die Feuerwehr ehrenamtlich oder hauptamtlich organisiert sein?

Die Städte und Gemeinden können Qualitätskriterien wie „Hilfsfrist“ (Zeit zwischen Notruf und Eintreffen der Hilfe) oder „Funktionsstärke“ (Mindestzahl an Einsatzkräften) selbstständig definieren und vom Rat beschließen lassen. Diese Ziele sind Ausdruck der örtlichen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen und beschreiben das politisch verantwortete Risiko.

Die „Handreichung“ enthält dazu den interessante Empfehlung, „im Rahmen der Brandschutzbedarfsplanung verschiedene Varianten für die Aufstellung einer leistungsfähigen Feuerwehr zu modellieren und anschließend zu bewerten, welche Varianten zu bevorzugen sind.“

Dabei sei auch zu prüfen, „welche Kombination von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften die optimale Variante für die Gemeinde ist“ und dafür sei „insbesondere die Verfügbarkeit der ehrenamtlichen Kräfte maßgeblich.“

Und da die „Handreichung“ auch die Empfehlung enthält, dass „der Rat oder der verantwortliche Ausschuss“ sich diese Varianten „im Detail darlegen lassen sollte“,  haben die Offenen Klever vorgeschlagen, das in einer Sondersitzung des Haupt- und Finanzausschusses zu tun. Es gibt nämlich in Kleve keinen Fachausschuss für Fragen der öffentlichen Sicherheit. (Der SPD-Antrag zu Beginn der Wahlperiode, einen „Ausschuss für öffentliche Sicherheit und Ordnung“ einzurichten, erhielt nur die Unterstützung der Offenen Klever…)

Am 22. März 2023 hat die große Mehrheit der Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses beschlossen, den Brandschutzbedarfsplan mit insgesamt 19 Anlagen und geschätzten 8,5 Mio. EUR für neue Fahrzeuge ohne vertiefende Diskussion zu beschließen.  Denn – so der FDP-Fraktionsvorsitzende – : „Wir haben nicht die Expertise.“ Assistiert wurde er dabei von Vertretern der Grünen.

Mit diesem Argument könnte beispielsweise der Bau- und Planungsausschuss, in dem es ja um komplexe baurechtliche und architektonische Fragen geht, seine Arbeit einstellen.

Wie „aktuell“ und präzise formuliert der vom Bürgermeister seit November 2020 mehrfach angekündigte Brandschutzbedarfsplan wirklich ist, das mögen einige kleine Beispiele belegen:

  • zur Bewertung der Flächennutzung und Bebauung ist die längst überholte Entwurfsfassung des Flächennutzungsplans aus 2015 herangezogen worden:
  • zum vorbeugenden Brandschutz wird zwar pauschal „weiterer Optimierungsbedarf“ festgestellt, der aber nicht definiert werden kann, sondern erst „nach weiterer Analyse der Prozesse (…) mit den notwendigen personellen Ressourcen auszustatten ist.“
  • Bei Wohnbauflächen ist die „Zuordnung der Einsatzstelle nicht immer eindeutig gegeben.“
  • Zwar wird dargelegt, dass die Feuerwehr sich „auf immer häufigere und umfangreichere Flächenlagen einzustellen“ habe, aber weder zum neuen Aufgabenfeld „Brand einer Windkraftanlage“, deren Errichtung politisch gewollt und deshalb kommen wird, noch zur Beurteilung der Gefahrenlage durch Fotovoltaik-Anlagen wird etwas ausgesagt.
  • Ein „auf den Brandschutz bezogenes Controlling“ sei „bislang nicht erfolgt.”
  • Es wurde festgestellt, „dass nunmehr eine dauerhafte kontinuierliche Analyse notwendig ist.“

Um jedes Missverständnis und jede Fehlinterpretation auszuschließen, sei an dieser Stelle klar und eindeutig erklärt:

Obige Zitate und Anmerkungen stellen nicht die Arbeit, das Engagement, den Mut und die Leistungsbereitschaft der Feuerwehr infrage. Sie lösen aber bei den Offenen Klevern Beratungs- und Erklärungsbedarf aus. Wir wollen den Brandschutzbedarfsplan verstehen, bevor wir über ihn abstimmen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.