Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz!

Stärker als die reale AfD in Kleve ist die AfD in den Köpfen vieler

Rede des Vorsitzenden der Fraktion „Offene Klever“, Udo Weinrich, auf der Abschlusskundgebung der Demonstration „Zusammen gegen rechts“ am 21. Januar 2024:

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Liebe Kleverinnen und Klever!

dass heute, an einem Sonntag, bei winterlichen Temperaturen, so viele dem Aufruf gefolgt sind, zusammen gegen rechts ein Zeichen zu setzen, ist gut, ist richtig, ist erfreulich.

Aber:

Diese Demonstration belegt zugleich, dass etwas in diesem Land, ins Rutschen gekommen ist. Wir erleben eine negative, eine besorgniserregende Veränderung der politischen Verhältnisse. Wir erleben eine Bedrohung unserer Demokratie, die uns seit mehr als 70 Jahren ein Leben in Freiheit, Frieden und einen gesicherten, hohen Lebensstandard ermöglicht hat.

Unsere demokratische Gesellschaft hat dazu beigetragen, dass unser Land nach den Jahren zwischen 1933 und 1945 wieder das Vertrauen der Weltgemeinschaft erlangen konnte.

Wir demonstrieren heute zusammen gegen rechts. Unter „rechts“ verstehen die meisten von uns die politischen Kräfte, die das demokratische Staatswesen verachten oder verächtlich machen; die gegen vermeintliche oder tatsächliche Minderheiten hetzen; die die Menschen einteilen in Erwünschte und Unerwünschte; die – teils offen und unverblümt, teils durch einen rhetorischen Schwurbelnebel getarnt – an den Hitlerfaschismus anknüpfen.

„Rechts“ – das war einmal auch der Sammelbegriff für Rassismus und Antisemitismus. Aber dem Bekenntnis demokratischer Politiker zum Trotz, wonach der Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz habe – er war nie weg, er ist sogar stärker geworden. Er hat – als „Anti-Zionismus“  getarnt – mittlerweile auch in der sogenannten politischen Mitte eine Heimat gefunden.

„Rechts“ – das ist nicht nur die AfD!

Diese Partei ist Symbol, Kristallisationspunkt und Sprachrohr einer anti-demokratischen, eine offene, pluralistische Gesellschaft verabscheuenden, sie bekämpfenden Gesinnung.

Sie ist vor Ort, hier in Kleve, im Rat nur schwach vertreten. Es wäre aber fatal, in Kleve die AfD zu ignorieren oder zu belächeln.

Stärker als die reale AfD im Rat ist die AfD in den Köpfen vieler Menschen!

Da gibt es im Freundes- oder Bekanntenkreis den einen oder die andere, der oder die sagt: „Ich wähle die zwar nicht, kann aber Leute verstehen, die AfD wählen.“

Viele, die so etwas sagen, kennen weder das Programm noch Aussagen führender Vertreter der AfD. Viele, die so etwas sagen, weisen es von sich, AfD zu wählen. Sie drücken ja nur eine Stimmung aus, sagen sie uns, die wir ihnen besorgt zugehört haben…

Damit, liebe Kleverinnen und Klever, fängt es an. Wer so redet, wer so argumentiert, ist dem Ungeist der AfD schon erlegen, ohne dass er oder sie sich dessen bewusst sind. Wer so redet, verharmlost die AfD und deren Programm, das „man ja nicht ernstnehmen kann“ (auch so eine Redensart, die einem begegnet). Wer so redet, macht die AfD zur legitimen Vertreterin eines diffusen Unbehagens in der demokratischen Kultur. Wer so redet, wäscht die anti-demokratische, rassistische AfD weiß.

„Ja“, sagen manche, „nicht alle in der AfD sind Nazis. Und erst recht nicht alle, die die AfD wählen.“

Liebe Kleverinnen und Klever,

so fing es auch „damals“ an. Und glauben Sie mir, die Parallelen zu den Jahren vor 1933 sind erschreckend. Erschreckend aktuell!

Weit vor 1933, bevor Hitler die Macht übertragen worden war, gab es hellsichtige Analysen seines Programms und seiner Partei. Sie wurden entweder nicht gelesen oder nicht ernstgenommen.

Und auch nachdem die Nazis in der Reichstagswahl 1930 den Sprung von 2,6% auf 18,3% geschafft hatten, gab es danach immer noch, ja verstärkt Stimmen, man könnte und sollte diesen Mann, seine Partei und deren Programm doch nicht ernst nehmen!

Da hatte der damalige „Freistaat Thüringen“ schon seit neun Monaten einen Nazi-Minister für „Inneres und Volksbildung“!

Fast auf den Tag genau, heute vor 93 Jahren, am 23. Januar 1930 wurde Wilhelm Frick im „Freistatt Thüringen“ erster Nazi-Minister in der Weimarer Republik. Die Nazis hatten zwar nur rd. 11% der Stimmen erreicht, wurden aber Teil einer bürgerlichen Koalitionsregierung.

Das war in Thüringen! Viele werden sagen: „Ist ja sooo lange her.“ Und: „Die demokratischen Parteien haben aus der Geschichte gelernt.“

Haben Sie? Steht die angebliche „Brandmauer gegen rechts“ wirklich? Ich kann sie noch nicht sehen.

Im Thüringer Landtag hat es schon einen Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden gegeben – wenn auch nur für knapp eine Woche. Im Thüringer Landtag hat es in Ausschüssen und im Plenum mithilfe der AfD sogar schon eine Gesetzgebungsmehrheit gegeben!

Neueste Wahlumfragen im Bundesland Thüringen sehen die AfD bei 33%!

Übrigens: Im März 1930 brach die letzte demokratische Koalitionsregierung unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller auseinander. Der Grund: Die Koalition fand keine Lösung zum Schuldenabbau.

Kommt uns das nicht auch erschreckend aktuell vor?

Was folgte, ist bekannt: Kabinette ohne demokratische Mehrheit regierten mithilfe von Notverordnungen. Am Ende wurde Hitler Reichskanzler.

Liebe Kleverinnen, liebe Klever,

unsere Demokratie ist nicht perfekt. Sie entwickelt sich aber weiter. Sie verändert sich.

Unsere Demokratie gibt allen jederzeit die Möglichkeit, Vorschläge, Anregungen und auch Protest beispielsweise über ein „Bürgerbegehren“, einen „Bürgerentscheid“ oder einen „Einwohnerantrag“ an Bürgermeister und Rat zu adressieren.

Wir sind Regierenden nicht machtlos ausgeliefert. Wir alle haben Möglichkeiten, uns einzumischen, uns Gehör zu verschaffen.

Zum Wesenskern der Demokratie gehört das Recht auf eine eigene Meinung. Wir können und dürfen Regierung und Politik kritisieren. Wir können und dürfen Regierende auch verklagen und damit Erfolg auch Erfolg haben.

Aber dieses Recht auf Kritik hat dort seine Grenze, wo Kritik in Hass, Demagogie, Geringschätzung, Verhöhnung oder Verächtlichmachung demokratischer Institutionen und Regeln und abgleitet.

Es kann und darf keine Toleranz gegenüber der Intoleranz geben!

So ermutigend und richtig die heutige Demonstration auch ist. Morgen ist wieder Alltag. Und da muss der Kampf für die offene Gesellschaft geführt werden. Im Gespräch. Ob am Arbeitsplatz, auf der Straße, an der Verkaufstheke, in der Kneipe oder im Freundeskreis. Dort sollte unsere Botschaft lauten: „Für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde!“ Und da gibt es keinen Kompromiss!

Zum Abschluss meiner Rede fordere ich alle Demokratinnen und Demokraten auf:

Machen Sie von Ihren Rechten Gebrauch!

Mischen Sie sich ein!

Gehen Sie wählen!